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Drei Hasen und Hunderte von Quellen

 
Bevor ich das erste Mal nach Paderborn kam, wusste ich über die Stadt dank dem Comedian Rüdiger Hoffmann immerhin, dass sie in Westfalen liegt und dass es dort ein Dreihasenfenster gibt:

 
„Der Hasen und der Löffel drei, und doch hat jeder Hase zwei.“

 
Als ich zum ersten Mal zu einer Lesung in Paderborn war, reichte die Zeit gerade einmal aus, um festzustellen, dass es durchaus noch mehr zu sehen gibt, auch wenn sich in diesem Moment nicht die Gelegenheit dazu ergab.

 
Weniger beeindruckend, als ich es mir gedacht hatte, war hingegen das Dreihasenfenster, zumal es noch nicht einmal einfach zu finden ist. Wahrscheinlich hatte ich mir durch den Kultcharakter des entsprechenden Hoffmann-Textes falsche Vorstellungen gemacht, doch bis zu diesem Moment war ich davon überzeugt gewesen, dass es sich um ein buntes Glasfenster an den Außenwänden des Doms handeln müsste. Tatsächlich ist es ein eher unscheinbares Fenster im Innenhof des Domkreuzgangs, das mit dem berühmten Relief aus rotem Sandstein verziert ist. Dennoch ist es sehr originell und gilt zurecht als eines der Wahrzeichen der Stadt.

 
Eine weitere Besonderheit der Stadt befindet sich in der Nähe der Kaiserpfalz, und ich fürchte, man muss sie kennen oder gezeigt bekommen, um ihre Einzigartigkeit würdigen zu können: die Bartholomäuskapelle. Von außen eher unscheinbar, wie für eine 1017 erbaute Kirche auch nicht eben ungewöhnlich, ist sie nicht nur die älteste Hallenkirche nördlich der Alpen, sondern birgt noch ein Geheimnis, das sich nicht einmal beim Betreten der Kapelle von selbst erschließt.

 
So war ich recht verwundert, als mich meine Begleiterin, kaum dass die Gruppe vor uns die Kapelle verlassen hatte und wir allein zurückgeblieben waren, fragte: "Können Sie singen?" Dafür, dass wir uns gerade mal eine gute Stunde kannten, kam mir diese Frage doch ein wenig seltsam vor. Das sollte sich jedoch schlagartig ändern, als sie mich nach meiner Antwort, dass es für den Hausgebrauch wohl gerade so ausreiche, aufforderte: "Probieren Sie es mal hier!" Das Ergebnis war geradezu überwältigend. Wie gesagt, meine Stimme ist nicht besonders kräftig oder gar voluminös, aber was die Akustik dieser Kapelle daraus machte, hat bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. So kann ich nur jedem empfehlen, der zwar gern singt, seine Stimme aber für nicht eben publikumswirksam hält, einen stillen Moment abzupassen und sich allein in die Bartholomäuskapelle zu stellen und zu singen - es wird bestimmt ein unvergessliches Erlebnis!

 
Sollte bis hierher der Eindruck entstanden sein, Paderborn hätte nur architektonische und sonstige historische Sehenswürdigkeiten zu bieten, so trügt der Schein. Auch die natürlichen Gegebenheiten sind mehr als sehenswert. So leitet sich der Name der Stadt aus den Bestandteilen "Pader" und "Born" ab, wobei "Born" ein altdeutsches Wort für Quellen oder Brunnen ist. Die Pader aber ist der kürzeste Fluss Deutschlands und wäre mit vier Kilometern Länge vielleicht auch nicht einmal eine Erwähnung wert, wenn … ja, wenn nicht im gesamten Stadtzentrum überall Quellen sprudeln würden, aus denen sich der Fluss speist. Von den etwa 200 Quellen sind sechs ummauert, aus denen die größten Flussarme der Pader entspringen. Insgesamt sprudeln dort pro Sekunde 5000 Liter Wasser, und so ist das das stärkste deutsche Quellgebiet.

 
Alles in allem war der Spaziergang durch Paderborn, auch wenn er nur wenige Stunden dauerte, für mich eine echte Horizonterweiterung, und ich bin mir sicher, dass diese Stadt noch vieles bereithält, wofür es sich lohnt, sie auch ein drittes oder viertes Mal zu besuchen.

(Dieser Blogeintrag ist ein Auszug aus der gleichnamigen, in meinem Buch „Höhenangst in Paris, böhmische Drachen und eine wenig bekannte Wiedergeburt“ im Anthea-Verlag erschienenen Reiseskizze. Sie können Sie auch in elektronischer Form in dem E-Book über das jeweilige Land erwerben.)
 
 
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