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Deutschland
 
Eine Stadt mit oder ohne K
 

Den Begriff „K-town“ hörte ich das erste Mal zu Wendezeiten in einem Lied von Reinhard Mey. Ob ich damals davon ausging, dass es sich dabei um eine tatsächlich existierende Stadt oder einen fiktiven westdeutschen Standort der Alliierten handelte, weiß ich heute nicht einmal mehr zu sagen. Eine konkrete Vorstellung davon, was damit gemeint sein könnte, hatte ich jedenfalls nicht.

Die Auflösung kam im März 1992 im Zug nach Moskau, als mit uns im Abteil eine junge Frau fuhr, die selbst in Kaiserslautern wohnte. Sie erzählte uns auch, wie es zu der seltsamen englischsprachigen Bezeichnung gekommen war. Da es den in und um die Stadt stationierten amerikanischen Soldaten zu schwer fiel, den langen deutschen Namen auszusprechen, haben sie ihn einfach für sich gut handhabbar abgekürzt. Diese Praxis war mir keineswegs neu, denn auch im Berlin der 80er- und beginnenden 90er-Jahre konnte man von Frauen russischer Offiziere immer wieder hören, sie führen nach „Kenigs“ zum Einkaufen, womit das etwas südöstlich der Hauptstadt gelegene Königs Wusterhausen gemeint war, das im Russischen wohl auch einem Zungenbrecher gleichkommt.

Natürlich habe ich damals noch mit keiner Silbe geahnt, dass die Stadt, um die es in dem Gespräch ging, einmal eine relativ große Rolle in meinem Leben spielen würde. Der Zufall wollte es, dass ich sechzehn Jahre später über gemeinsame Freunde eine Familie aus Kaiserslautern kennenlernte, die der Grund dafür wurde, dass uns nun immer wieder Reisen in oder durch die Pfalz führten. Wir haben vieles in Kaiserslautern gesehen und erlebt, waren auf dem Gartenschau-Gelände mit den Dinosaurier-Nachbildungen, im Japanischen Garten, auf den sogar schon von der Autobahn aus hingewiesen wird, und haben, nachdem wir ihn lange Zeit schmählich ignoriert hatten, auch den von Gernot Rumpf gestalteten Kaiserbrunnen gebührend zu würdigen gelernt. Sogar einem Märchenerzähler haben wir abends auf dem Weihnachtsmarkt gelauscht.
 
Inzwischen weiß ich auch, dass echte Kaiserslauterer den Namen ihrer Stadt für den alltäglichen Gebrauch wohl selbst etwas zu lang finden, denn sie sprechen häufig nur von „Lautern“. Auch das ist übrigens eine Parallele zu dem eingangs erwähnten Königs Wusterhausen. Dies nennt man umgangssprachlich gern „KW“, und von beiden eingebürgerten Abkürzungen hatten die Soldaten der jeweiligen Besatzungstruppen offenbar keine Ahnung.

 
Eines aber sollte mir tatsächlich erst an einem völlig verregneten Apriltag auffallen, an dem ich eigentlich nur eine kurze Einkaufsrunde drehen wollte. Ich war nun schon viele Male in Kaiserslautern gewesen, doch weder den Wegweiser, der einem verkündet, dass die Entfernung nach Paraguay 10623 Kilometer beträgt und nach Australien 16505, noch das dahinter befindliche Haus hatte ich bisher nachhaltig wahrgenommen.
 
Nun fiel mir beides aber regelrecht ins Auge, und so kam ich mitten im Regen zu einem völlig unerwarteten Kunst- und Geschichtserlebnis. Ausgelöst wurde es durch ein Gebäude mit roten Balkons, an denen die verschiedensten Zitate prangten, und einer Fassade, an der von mehreren Seiten unterschiedliche Bilder zu sehen waren.
 

Die Bilder an der Fassade beziehen sich auf die deutsch-französische Geschichte, die in dieser Region 1793 in der Schlacht von Morlautern einen ihrer fragwürdigeren Höhepunkte erlebte. Auch Napoleon kam später nach Kaiserslautern, um sich das Schlachtfeld anzusehen. Die moderne Auslegung der Künstlerin geht dahin, dass eine Frau, die diese kriegerischen Auseinandersetzungen wie Staub aus einem Teppich schüttelt, das Sinnbild dafür ist, dass die Konflikte zwischen beiden Ländern inzwischen nur noch häuslicher Natur sind.

 
Die Zitate auf den Balkons bilden sozusagen die weltliterarische Klammer zwischen den verschiedenen Ereignissen. Für mich waren sie der Auslöser stehen zu bleiben und mir das seltsame Haus genauer anzusehen. Auf diese Weise habe ich nicht nur mehr über die Geschichte Kaiserslauterns erfahren, sondern wieder einmal festgestellt, dass man selbst bei eigentlich alltäglichen Besorgungen immer wieder etwas Neues entdecken kann - auch in Städten, die man eigentlich zu kennen glaubt.
 
 
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