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Frankreich
 
Verliebte an der Côte d‘Azur

 
Es ist ein Nachmittag im November. Glücklicherweise ist es noch immer angenehm warm, denn wir befinden uns nicht in heimatlichen Gefilden, sondern nach einigen Jahren „Abstinenz“ endlich wieder einmal am Mittelmeer. Obwohl ich vorher noch nicht viel von Antibes gehört hatte, ist mir dieses Städtchen von Anfang an sympathisch. Die alten Gässchen, der lange Strand, die kleinen Plätze mit der schönen Architektur – das alles verhilft diesem Städtchen zu einem anheimelnden Flair.

 
Doch es ist auch etwas anderes, das mir unerwartet vertraut vorkommt – Zeichnungen, die einem in dieser Stadt immer wieder begegnen und die von einem Künstler stammen, der der Romantik ein neues Gesicht gegeben hat: Raymond Peynet. Ab und zu kann man Bücher mit seinen kleinen Meisterwerken auch in Deutschland antiquarisch erstehen, doch muss man gezielt danach suchen, denn wer Peynet nicht ohnehin kennt, wird in den Strudeln des Mainstreams nicht unweigerlich auf ihn stoßen.

 
Dennoch: Wer sie einmal in der richtigen Stimmung gesehen hat, die leichten Federzeichnungen, die schon fast ans Naive grenzen, wird ihre Protagonisten immer wieder erkennen, seien es nun die beiden Verliebten, die in der Mozart-Allee ihren Schirm aufgespannt haben, weil es gerade Noten regnet, oder der schüchterne junge Mann, der der Meerjungfrau in seinem Aquarium eine große Topfpflanze kredenzt, an der Fische im Übermaß wachsen. Kleine Vögel, Herzen und Pavillons machen die Zeichnungen, die häufig Szenen bei Regenwetter zeigen, zu Kabinettstückchen der Romantik, die so unaufdringlich sind, dass der Name des Künstlers darüber leicht in Vergessenheit geraten könnte.

 
Zum Glück wirkt Antibes dem Vergessen entgegen: So habe ich gleich am ersten Tag in dieser Stadt, in der Raymond Peynet einige Zeit verbracht hat, einen Wegweiser zum „Musée Peynet“ gesehen und mir vorgenommen, mir dieses Kleinod auf keinen Fall entgehen zu lassen. So nutzen wir also den letzten Nachmittag dieses verlängerten Wochenendes in Südfrankreich für Museumsbesichtigungen, und sind dabei auch die zunächst einzigen Besucher des Musée Peynet. Vor Schaukästen und Bildern tauchen wir ein in eine heile Welt, die zwar keine rosa Wölkchen, dafür aber Herzen und Zuneigung en masse zu bieten hat. Dennoch wirken die Zeichnungen aufgrund ihrer Einfachheit und fast schon sichtbaren Schüchternheit der abgebildeten Personen nicht kitschig, sondern führen einen eigentlich auf das Wesentliche zurück, was am Anfang einer Beziehung den Grundstein für deren spätere Tragfähigkeit legen kann.

 
Doch auch außerhalb des Themas Beziehungen hatte Peynet originelle Einfälle: Da landet der venezianische Löwe auf dem Obelisken am Markusplatz in einem Käfig, damit er den vielen Tauben nichts tut, und die Pariser Kathedrale Notre-Dame spannt ihre Spitze als Regenschirm auf.

 
Wieder zu Hause, entdecke ich im Nachlass meines kurz zuvor ebenfalls hochbetagt verstorbenen Großvaters, der immer ein Faible für Grafik und Malerei gehabt hatte, einen Salz- und einen Pfefferstreuer. Von dem weißen Porzellan blicken mich die Gesichter der „Verliebten“ von Peynet an, und obwohl ich nicht an Zeichen aller Art glaube, bekommen diese beiden bei mir einen Ehrenplatz, denn sie sind gleich in zweierlei Hinsicht eine schöne Erinnerung: an das kleine Museum mit den romantischen Bildern und an die Küche meines Großvaters, die dreißig Jahre lang auch Teil meines Lebens war und vor mir diese beiden beherbergt hatte.

(Dieser Blogeintrag ist ein Auszug aus der gleichnamigen, in meinem Buch „Höhenangst in Paris, böhmische Drachen und eine wenig bekannte Wiedergeburt“ im Anthea-Verlag erschienenen Reiseskizze. Sie können Sie auch in elektronischer Form in dem E-Book über das jeweilige Land erwerben.)
 
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