- Literatur - Reiseblog

Direkt zum Seiteninhalt

Hauptmenü:

Frankreich
 
 
Tête-à-Tête von Geschichte und Moderne

Wer Frankreich mag, kommt natürlich an seiner Hauptstadt nicht vorbei, und selbst in Russland gibt es den berühmten Ausspruch „Paris sehen und sterben…“

Gemeinsam mit einer Gruppe russischer Teilnehmer eines postgradualen Studiums habe ich mich entschlossen, es beim ersten Teil des Ausspruchs zu belassen, und so machten wir uns zum Frühlingsanfang auf, die französische Metropole zu erkunden.

 
Das Wetter meinte es wirklich gut mit uns, sodass wir tatsächlich alles, was uns interessierte, zu Fuß ablaufen konnten, und wir begannen unsere Stadtwanderung am Forum Les Halles, das von der Porte d’Orléans auf direktem Wege mit der Metro erreichbar ist.

 
Nachdem wir uns durch das unterirdisch-modernistische Labyrinth gekämpft hatten, gelangten wir auf einen Platz, an dem sich die Architekturstile verschiedener Jahrhunderte auf eine Weise miteinander verbunden haben, wie es wohl nur in Frankreich möglich ist. (Hier allein von Paris zu sprechen, wäre nicht ganz gerechtfertigt, denn auch in Montpellier und Strasbourg habe ich bereits Ähnliches gesehen.) In unmittelbarer Nähe der Kirche Saint-Eustache, die im 16. und 17. Jahrhundert erbaut wurde und in der Richelieu und Molière getauft worden waren und Ludwig XV. seine Erstkommunion erhalten hatte, stößt man als Erstes auf die riesige Steinplastik eines liegenden Kopfes und einer rechten Hand. Diese Skulptur stammt eindeutig aus der Zeit der Modernisierung von Les Halles und schafft architektonisch einen Übergang von der gotischen Kirche zum neuen Glasbau des Einkaufszentrums, der den Parisern so verhasst ist, weil sie den in den 70er-Jahren unverantwortlicherweise abgerissenen alten Markthallen nachtrauern. Trotz alledem scheint aber zumindest von der jungen Generation das grüne Areal zwischen den einzelnen Gebäuden gut angenommen zu werden, wenn man all jenen trauen darf, die hier Inline-Skates fahren, bummeln, auf der erwähnten Skulptur herumklettern oder sich einfach eine Mußestunde beim Lesen oder Spazierengehen gönnen.

 
Anschließend führte uns unser Weg zum nächsten ausgesprochen modernen Gebäude, das während seiner Bauzeit für heftige Diskussionen gesorgt hat: dem Centre Georges Pompidou. Da es sich im Pariser Stadtteil Beaubourg befindet, wird es häufig auch einfach „Centre Beaubourg“ genannt. Seinen offiziellen Namen hat es jedoch zu Ehren des Mannes erhalten, der als französischer Präsident in den 70er-Jahren die Idee hatte, ein Zentrum bauen zu lassen, in dem sich die verschiedensten Sparten der Kunst vereinigen und der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen ließen: Georges Pompidou, der allerdings die Einweihung des riesigen Gebäudekomplexes 1977 schon nicht mehr erlebt hat. Darüber, ob es nun in irgendeiner Weise zu den Gebäuden passt, von denen es umgeben ist, lässt sich sicher auch ein Vierteljahrhundert nach dem Bau noch streiten, aber eine Sehenswürdigkeit ist es allemal. Im Moment ist es zwar aufgrund von Rekonstruktionsmaßnahmen teilweise gesperrt, aber der Anblick, den es von außen bietet, ist ja auch sehr imposant – zumal, wenn man ohnehin unter einem leichten Zeitdruck steht. Wo sonst findet man schließlich noch ein Gebäude, das von jeder Seite aus von außen einsehbar ist und bei dem alle Versorgungsleitungen konsequent an die Außenseite der Fassade verlegt wurden?! Da wimmelt es nur so von Belüftungsanlagen, Rohren und natürlich den mittlerweile geradezu legendären Rolltreppen, die einen zu einem der schönsten Aussichtspunkte im Zentrum von Paris bringen. Für das Innenleben dieses Bauwerks, das neben einer Bibliothek, einem Modemuseum und verschiedenen ständigen Ausstellungen auch ein Theater und viele wechselnde Expositionen beherbergt, benötigt man schon erheblich mehr Muße, um sich ihm richtig widmen und es gebührend würdigen und genießen zu können. Apropos Genuss: Bei meiner inzwischen schon sehr ausgeprägten Vorliebe für Straßenkünstler aller Art verlasse ich mich jedes Mal wieder auf die Angaben diverser Reiseführer, die mir eben vor diesem Centre Culturel ein besonders buntes Treiben versprechen. Nun weiß ich langsam wirklich nicht mehr, an wem es liegen kann – an der für derlei Aktivitäten vielleicht unpassenden Jahreszeit, an den Baumaßnahmen oder an mir: Bisher habe ich dort noch nicht eine fotografierenswerte Darbietung gesehen. Außer Malern, die ihre Bilder verkaufen und Passanten porträtieren wollten, waren auch diesmal weit und breit keine Künstler zu sehen.

 
Doch jedes Mal, wenn ich Gefahr laufe, mich von dieser Situation etwas frustrieren zu lassen (was bei der Fülle der Fotomotive in Paris wahrlich unnötig wäre), entschädigt mich dafür voll und ganz der Strawinsky-Brunnen, der mittlerweile zu meinen Lieblingsplätzen in Paris gehört. Die Kombination von den im Laufe der Jahrhunderte dunkel gewordenen gotischen Fassaden der Kirche Saint-Merri, dem stoischen Weiß der zum Centre Pompidou gehörenden Röhren und der bunten Modernität der Brunnenfiguren von Niki de Saint-Phalle finde ich immer wieder einfach faszinierend. Außerdem – und das macht mir diesen Ort noch vertrauter – werde ich hier immer an einen meiner Lieblingsfilme von Éric Rohmer erinnert: „Rendezvous in Paris“, denn ein wesentlicher Teil der ersten der drei Episoden („Rendezvous um 7 Uhr“) spielt im Café „Dame Tartine“, von dem aus man einen wunderschönen Blick auf diesen Brunnen hat. So kann ich wohl auch davon ausgehen, dass nicht nur ich ein Faible für diesen Brunnen habe.
 
In den folgenden Tagen sollten wir noch vieles Interessante sehen und erleben, doch davon ein andermal mehr.

 
(Dieser Blogeintrag ist ein Auszug aus der gleichnamigen, in meinem Buch „Höhenangst in Paris, böhmische Drachen und eine wenig bekannte Wiedergeburt“ im Anthea-Verlag erschienenen Reiseskizze. Sie können Sie auch in elektronischer Form in dem E-Book über das jeweilige Land erwerben.)
 
 
 
Copyright 2015. All rights reserved.
Zurück zum Seiteninhalt | Zurück zum Hauptmenü