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Rumänien
 
Die verkannte Hauptstadt

 
„How are you doing, Budapest?“ Mit dieser in der rumänischen Hauptstadt legendär gewordenen Begrüßung begann Michael Jackson sein dortiges Konzert 1992, und er sollte bei Weitem nicht der Einzige bleiben, dem der Unterschied zwischen Budapest und Bukarest nicht aufging. Ozzy Osbourne, Lenny Kravitz und Iron Maiden erging es ebenso. Dass das einer Millionenstadt wie Bukarest, die immerhin die achtgrößte Stadt der EU ist, nicht passt, ist völlig verständlich, und so sah man sich 2013 veranlasst, eine Kampagne unter dem Titel „Bucharest not Budapest“ zu starten, in deren Verlauf sogar auf dem Budapester Flughafen ein Schild aufgestellt wurde mit der Aufschrift „Welcome to Not Bucharest“.

 
Häufig wird im Zusammenhang mit Bukarest davon gesprochen, dass es dort so viele Häuser im „Bauhaus-Stil“ gebe. Wie es der Zufall will, war ich kurze Zeit nach meinem Aufenthalt in Rumänien bei einer Veranstaltung zum 100. Jahrestag der Gründung des Bauhauses. Dort verwahrte sich ein polnischer Referent gegen diesen Begriff - einerseits weil Walter Gropius gerade dagegen war, einen neuen „Stil“ zu kreieren, andererseits weil es gerade in den osteuropäischen Ländern viele Bauten der Moderne gibt, die durchaus ihre eigene, nationale Ausprägung haben. Als Beispiel nannte er unter anderem, wie könnte es anders sein, Bukarest. Diese Aussage hat mir erheblich weitergeholfen, denn diese Einordnung leuchtet mir wesentlich eher ein. Bauten der Moderne gibt es in Bukarest tatsächlich in einer erheblichen Menge, und es ist spannend, sich mit ihren einzelnen Besonderheiten zu befassen.

 
Bukarest verfügt auch über eine Altstadt, ein Viertel im Stadtzentrum, in dem man Gebäude vorwiegend aus dem 19. Und 20. Jahrhundert finden kann, wie etwa das Athenäum, den ehemaligen Königspalast, in dem sich nun das Nationale Kunstmuseum befindet, der CEC-Palast und das Historische Museum. Da der innere Bereich der Altstadt als Fußgängerzone ausgebaut ist, lässt es sich dort besonders gut spazieren gehen, und man kann sicher sein, dass man buchstäblich an jeder Ecke wieder etwas Neues findet, das sich zu entdecken lohnt.

 
Ein wenig erinnert mich Bukarest auch noch an andere osteuropäische Hauptstädte zu Beginn der 1990er-Jahre. Natürlich ist das Straßenbild damit nicht vergleichbar, die Autos sind natürlich modern, und in den Straßencafés sitzen Menschen von heute. Mir geht es jedoch um die Gebäude an sich. Es ist noch nicht alles zu Tode rekonstruiert, viele Häuser sind noch beige oder grau, doch hinter den Fassaden lässt sich ihre Seele erkennen. Wenn man abends auf die Stadt hinunterschaut, sieht man statt des üblichen westlichen Lichtermeeres nur vereinzelte Leuchtreklamen, die fast ausschließlich auf international agierende Konzerne zurückgehen, die nun auch in Bukarest ihre Zelte aufgeschlagen haben.

 
Auch die vielen kleinen Kirchen, die immer wieder unvermutet am Straßenrand auftauchen, sind sicher in postsozialistischen Zeiten wiederaufgebaut oder zumindest instandgesetzt worden. Immerhin scheint auch ihre Vielfalt geradezu unerschöpflich zu sein. Man sollte sich allerdings nicht dazu verleiten lassen, mehr auf die Kirchen als auf den Straßenverkehr zu achten, denn das kann in Bukarest schnell gefährlich werden. Auch Lesen kann in diesem Fall manchmal Leben retten. So hatte ich zuvor in einem Reiseführer gelesen, dass man sich als Fußgänger auf keinen Fall darauf verlassen darf, dass abbiegende Autos warten, wenn man die Straße überqueren möchte. Sie kommen nämlich mitunter schon viel zu schnell an, um noch anzuhalten. Diesen Satz kann ich nur bestätigen und war mehr als froh, dass mich die einschlägige Lektüre darauf vorbereitet hatte.

 
Besonders stolz sind die Bukarester auf ihre vielen Parks und Gärten. Leider konnte ich diese jeweils auf meinem Weg zur nächsten Sehenswürdigkeit nur kurz streifen, doch dass sie überall in der Stadt zu finden sind, kann ich bestätigen. Mit Gewässern aller Art sieht es ein wenig anders aus. Die Dâmbovița fließt so kanalisiert durch die Stadt, dass man häufig erst, wenn man direkt davorsteht, bemerkt, dass man sich in Flussnähe befindet. Nicht zu übersehen sind hingegen die großen Springbrunnen am Vereinigungsplatz Piața Unirii. Hier fließt der Straßenverkehr quasi durch die Wasserspiele hindurch, denn der riesige Kreisverkehr läuft um einen Brunnen herum und wird selbst wiederum von zahlreichen Wasserbecken mit weiteren Fontänen gesäumt. Wenn man wie ich das Glück hat, dort an einem sonnigen Tag spazieren zu gehen, ist es ein unvergleichliches Erlebnis, ehe man sich wieder ins Stadtgetümmel stürzt oder an der Dâmbovița weiter bis zur Nationalbibliothek schlendert.

 
In jedem Fall lässt sich sagen, dass Bukarest allein schon als Horizonterweiterung eine Reise wert ist, auch wenn es touristisch noch nicht allzu stark erschlossen ist. Vielleicht macht auch gerade das den Reiz der Stadt aus, denn so kann man noch auf eigene Faust ihre Schönheiten und verborgenen Winkel entdecken, ohne gleich von der nächsten geführten Reisegruppe überrannt zu werden. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass sich auch das in den nächsten Jahren ändern wird, denn Geheimtipps haben ja leider die Angewohnheit, nicht lange als solche bestehen zu können, ehe sie zum Mainstream werden.

 
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