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Russland
 
Freud und Leid für Fotografen

 
„Moskau verändert sich“ - das ist nicht nur der Name einer Facebook-Seite mit fast 100.000 Followern, sondern auch die beste Beschreibung eines Dauerzustandes in der russischen Hauptstadt. Allerdings vollzieht sich dieser Prozess in unterschiedlicher Intensität, und in diesem Frühjahr war er wieder an besonders vielen Stellen zu beobachten. Dass das auch für Touristen nicht ausschließlich mit positiven Erfahrungen einhergeht, kann man sich sicher an einer Hand abzählen, auch wenn man als solcher keinem Termindruck unterworfen ist und es eigentlich egal ist, wie viel Zeit man benötigt, um von A nach B zu gelangen.

 
Damit ist der hauptsächliche Kritikpunkt der Moskauer an diesem Geschehen für unsereinen zwar ausgeräumt, es bleibt aber dennoch ein Aspekt übrig, der Besuchern das Leben schwer macht und die Bewohner der Stadt wahrscheinlich weit weniger interessiert. Ich meine das Fotografieren. Es ist nun einmal naturgemäß fast unmöglich, ein im landläufigen Sinne schönes Bild von einer Sehenswürdigkeit zu machen, die von allen Seiten angerüstet ist. Dass ich mit diesem Problem ausgerechnet an zwei Orten konfrontiert war, die ich mir schon lange vorgenommen hatte aufzunehmen, ist zwar in einem Fall meiner Vergesslichkeit und im anderen meiner Orientierungslosigkeit bei vorherigen Besuchen geschuldet, doch auch diese Erkenntnis verringerte meine Enttäuschung nicht.

 
So hatte ich bei meinem Besuch im vorigen Jahr regelrecht vergessen, ein Gebäude zu fotografieren, das sich in der Straße befindet, in der auch meine ehemalige Universität steht, und dem man nachsagt, es solle als „Villa der Margarita“ eine tragende Rolle in Bulgakows berühmtem Roman „Der Meister und Margarita“ gespielt haben. Zum Glück ist sich in diesem Punkt die Gemeinschaft der Literaturkenner uneins, sodass ich das andere Haus, das dafür in Frage kommt, abgesehen von einem wenig dekorativen „Zu vermieten“-Schild aufs Bild bekam.



 
Das zweite nicht zustande gekommene Foto ist schon etwas ärgerlicher, weil ich nach dem Springbrunnen, den es eigentlich in voller Schönheit zeigen sollte, schon wesentlich länger gesucht habe. Nun habe ich ihn endlich mit der Hilfe eines Freundes gefunden (allein hätte ich sicher noch ein paar Moskau-Aufenthalte mehr dafür gebraucht, weil der Brunnen so abgelegen ist), doch auch die „Goldene Ähre“ ist ebenso hinter einem großen Baugerüst verschwunden wie der Hauptpavillon und der Kosmos-Pavillon der Volkswirtschaftsausstellung WDNCh und viele andere kleinere Gebäude auf demselben Gelände. Da ist auch eine Aufschrift wie „Heute eine Baustelle, morgen Geschichte“ nur wenig trostspendend.


 
Doch es gab auch durchaus positive Erlebnisse während des Fotografierens. So stellte ich, als ich einen Freund in seiner Wohnung in der Nähe einer der neueren Metrostationen besuchte, fest, dass diese, obwohl erst 2010 in Betrieb genommen, ebenso wie die traditionellen Stationen im Zentrum über wunderschöne Mosaike verfügte, die ich natürlich noch nicht kannte und noch nie fotografiert hatte. Dass das an den Wänden über den Gleisen im Berufsverkehr bei einer Taktung von ungefähr einer bis anderthalb Minuten Abstand zwischen den Zügen kein einfaches Unterfangen ist, versteht sich von selbst.

 
An den einzelnen Zugängen gab es auch noch halbrunde Mosaike. Bei diesen war nur die Höhe das Problem, in der sie angebracht sind. Man hätte sie am besten auf der Rolltreppe stehend im Hinunterfahren fotografieren sollen, aber wer einmal versucht hat, gegen eine Bewegung von außen (im Bus, auf einem Boot etc.) anzukommen, weiß, wie schwierig das ist, dabei den richtigen Winkel zu treffen. Nun ist es in Moskau so, dass die meisten Stationen über vier Rolltreppen pro Eingang verfügen, von denen je nach Bedarf zwei in eine Richtung (nach unten oder nach oben) und eine in die andere fahren, während die vierte in der Regel steht, offenbar als „eiserne Reserve“.

 
Es lag also für mich nahe, den Rolltreppenwärter (auch ihn gibt es an jeder Station) zu fragen, ob ich zum Fotografieren nicht die stehende Rolltreppe betreten dürfte, obwohl diese abgesperrt war. Ehrlich gesagt, hatte ich fest mit einer Absage gerechnet. Aber nachdem ich an der einen Seite der Metro-Station wortlos, aber freundlich hinaufgewinkt wurde, räumte mir der Wärter an der anderen nicht nur sehr zuvorkommend das Absperrgitter aus dem Weg, sondern rief mich, nachdem ich alles im Kasten hatte, auch noch zu sich, um mir zu erzählen, dass es einige Stationen weiter sehr schöne Glasmalereien gebe, die ich mir doch nicht entgehen lassen sollte.

 
Mit so viel Entgegenkommen hatte ich überhaupt nicht gerechnet, und natürlich fuhr ich sofort zu der anderen Station. Die Glasmalereien befanden sich samt und sonders oberhalb von Sitzbänken, die zu dieser Zeit - es war früher Abend und damit immer noch Berufsverkehr - natürlich alle besetzt waren. Doch wen auch immer ich bat, mich für einen Moment fotografieren zu lassen, keiner der Angesprochen hätte auch nur gemurrt oder widerwillig reagiert. Alle erhoben sich hilfsbereit von ihren Plätzen und ließen mich gewähren.

 
Insofern hat die Freundlichkeit der Menschen in meiner Fotobilanz das wieder ausgeglichen, was die Bautätigkeit und anderes vorher auf die Minus-Seite katapultiert hatte. Diese Erkenntnis ist, denke ich, wesentlich mehr wert, und die Villa der Margarita und den Springbrunnen „Goldene Ähre“ kann ich sicher beim nächsten Besuch ganz in Ruhe fotografieren.

(Dieser Blogeintrag ist ein Auszug aus der gleichnamigen, in meinem Buch „Moskauer Kaleidoskop“ im ostbooks Verlag erschienenen Reiseskizze.)
 

 
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