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Spanien
 
Nachts im Museum
 

 
Jeder, der einmal im Sommer in Figueres war, kennt sie, die endlos scheinende multinationale Schlange Schaulustiger und Kunstbegeisterter, die sich durch das gesamte Stadtzentrum zieht. Wer das berühmte Teatro Museo Dalí von innen sehen will, muss sich nolens-volens dort einreihen und das eine oder andere Stündchen Wartezeit einplanen.
 
Allerdings hat man zumindest im August Gelegenheit, die Wartezeit zu umgehen und dennoch mehr als üblich in Figueres zu sehen. Diese Möglichkeit bedarf jedoch einer gewissen Planung. Einen Monat lang wird nämlich jede Nacht ab 22.00 Uhr eine begrenzte Anzahl Besucher in das ehemalige Stadttheater gelassen, das Dalí komplett nach seinen Vorstellungen umgebaut hat.
 
Sicher kommt einem bei einem solchen Vorhaben unweigerlich der bekannte Hollywood-Film in den Sinn, doch auch wenn hier keine Figuren lebendig werden (was man manchmal durchaus begrüßenswert finden kann), ist der nächtliche Besuch dieses surrealsten aller mit Dalí verbundenen Bauwerke etwas wirklich Außergewöhnliches.
 
Die Besichtigung des Museums lässt sich tagsüber keinesfalls mit einer nächtlichen vergleichen, und das nicht nur aufgrund der geringeren Besucherdichte. Während die rote Längsfassade des Theaters mit den charakteristischen Eiern auf dem Dach im Sonnenlicht natürlich wesentlich effektvoller ist und man auch die Schaufensterpuppen mit den Broten auf dem Kopf an der Frontseite bedeutend besser sehen kann, ist der Blick durch die Glaskuppel über dem ehemaligen Bühnenraum nachts so spektakulär, dass man ihn sich keinesfalls entgehen lassen sollte. Vielleicht kommt man auch in diesem Moment einer der Assoziationen besonders nahe, die Dalí hatte, als er die Kuppel konzipierte: Sie soll dem Facettenauge einer Fliege gleichen, wenn man es durch ein Mikroskop betrachtet, und diese Augen sind nun einmal dunkel.
 
Auch in anderer Hinsicht kann man sich dem Meister in einer solch lauen Sommernacht nähern. Wann sonst hätte man schon die Möglichkeit, auf seiner Terrasse ein Gläschen Cava zu trinken und dabei auf einer großen Leinwand dokumentarische Aufnahmen aus dem Leben des Künstlers zu sehen? Dass das, auch wenn es im Eintrittspreis inbegriffen ist, einen Hauch von Dekadenz hat, hätte den Marqués de Púbol, wie er sich ab 1982 offiziell nennen durfte, wohl eher erfreut als abgeschreckt.
 
Und so ist es schon ein ganz besonderer Eindruck, das Regentaxi und die um diese Zeit angestrahlten Schaufensterpuppen so erleben zu können, wie es zu früheren Zeiten wohl nur dem Besitzer selbst vorbehalten war – im Schutze der Nacht und daher vielleicht noch viel mysteriöser als sonst.
 
(Dieser Blogeintrag ist ein Auszug aus der gleichnamigen, in meinem Buch „Höhenangst in Paris, böhmische Drachen und eine wenig bekannte Wiedergeburt“ im Anthea-Verlag erschienenen Reiseskizze. Sie können Sie auch in elektronischer Form in dem E-Book über das jeweilige Land erwerben.)
 
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