Was ist eigentlich Waldglas?
Ich gebe zu, ich hatte diesen
Begriff noch nie zuvor gehört, und wäre er mir in einem anderen Zusammenhang
begegnet, hätte ich dabei wahrscheinlich eher an im Wald zurückgelassene
Flaschen gedacht als an eine Eintwicklungsetappe der Glasherstellung. Wie gut
also, dass meine erste Begegnung mit diesem Terminus in Tschechien stattfand, der
Hochburg des Glasindustrie. Allerdings war ich an diesem Tag gar nicht auf eine
Lektion in Sachen Werkstoffkunde eingerichtet gewesen, was die ganze
Angelegenheit umso bemerkenswerter machte.
Aber der Reihe nach: Wir waren
für einen Tag auf der Durchreise in Český Krumlov und hatten uns diese
Transitstrecke eigentlich aus einem ganz anderen Grund ausgesucht. Die kleine
Stadt am Oberlauf der Moldau hat uns schon immer gut gefallen, und da auch das
dortige Schloss immer wieder einen Besuch wert ist, waren wir nun bereits zum
vierten Mal in Südböhmen. Einige der ortsansässigen Museen kannten wir bereits,
und so schlenderten wir einfach durch die Stadt, immer in dem Bestreben, den
ersten vollständigen Urlaubstag möglichst ausgiebig zu genießen. Wir spazierten
durch den Schlossgarten, bewunderten die verschiedenen Innenhöfe und blieben
auf dem Rückweg ins Stadtzentrum auf der Schlossstiege vor einem Schaufenster
mit verschiedenen Glaserzeugnissen stehen.
Die Aufschrift über dem Geschäft
ließ uns wissen, dass es hier Repliken historischer Gläser gebe, und so wurden
wir neugierig und konnten nicht umhin, uns das Ganze einmal genauer anzusehen.
Als wir den Laden betraten, waren wir uns auf einmal gar nicht mehr so sicher,
ob wir uns in einem Verkaufsraum oder einem Museum befanden. Die Vitrinen mit
den einzelnen Gläsern waren nach Stilepochen geordnet, und der Inhaber
berichtete voller Enthusiasmus von den verschiedenen Merkmalen der Gläser zu
verschiedenen Zeiten, angefangen bei den Phöniziern. Dabei erfuhren wir auch,
dass Waldglas seinen Namen der Tatsache verdankt, dass die Glashütten sich in
der Vergangenheit vorrangig im Wald befanden und ein grünliches Glas
produzierten, da man noch nicht gelernt hatte, die einzelnen Rohstoffe so von
Spurenelementen zu reinigen, dass das Glas wirklich durchsichtig wurde. Das
erklärt auch, warum viele der von ihm verkauften Repliken eben diese Farbe
aufweisen. Außerdem erklärte er uns verschiedene Details des Designs einzelner
Pokale und anderer Gläser. Wir sahen Zwillingspokale, wie sie bei Hochzeiten im
Barock dem Brautpaar überreicht wurden, sodass diese gleichzeitig aus
verschiedenen Teilen eines Glases trinken mussten, und Weingläser, die von
Rittern unterwegs verwendet wurden und so geformt waren, dass man aus ihnen
auch in der Bewegung nichts verschütten konnte. Als wir uns entscheiden, eines
dieser Gläser als Mitbringsel zu kaufen, erfahren wir auch noch, dass Pokale
dieser Art einen eigenen Namen haben: Kuttrolf. Der Ladeninhaber händigt uns
einen Merkzettel aus, auf dem die Geschichte seiner Repliken wie auf einem
Zeitstrahl festgehalten ist. Der von uns erstandene Kuttrolf stammt aus dem 15.
Jahrhundert. Ermuntert durch das Engagement des Verkäufers, traue ich mich,
eine Frage zu stellen, die ich ansonsten in Geschäften völlig deplatziert finde
und mir deshalb für Museen vorbehalte – ob es erlaubt ist zu fotografieren. Eingedenk
der Tatsache, dass dieses Geschäft ohnehin etwas recht Museales hat, fällt auch
die Antwort dementsprechend aus. Ich darf fotografieren, aber nur ein einziges
Foto. Das will natürlich gut überlegt und ausgewählt sein, und ich hoffe, ich
habe mich für den richtigen Blickwinkel entschieden (und das Fensterbrett mit
den offen stehenden Glasexponaten zählt sicher nicht noch extra). Fest steht
aber, dass ich bei unserem nächsten Aufenthalt in Český Krumlov sicher wieder
den Weg über die Schlossstiege nehmen werde, um dem
Geschäft, das gleichzeitig ein Museum ist, und seinem rührigen Besitzer einen
Besuch abzustatten.